„Das Wissen vom Leben“

In Indien und angrenzenden südasiatischen Staaten ist Ayurveda staatlich anerkannt, der konventionellen Medizin rechtlich gleichgestellt und wird in einem Ballungsraum mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen als Breitenmedizin angewendet. Analog zur Traditionellen Chinesischen Medizin ist Ayurveda von der Weltgesundheitsorganisation als medizinische Wissenschaft anerkannt. Die Bedeutung des Ayurveda in der modernen indischen Gesundheitsversorgung spiegeln die folgenden Zahlen wider: Allein in Indien sind mehr als 400 000 ayurvedische Ärzte registriert, an mehr als 250 von der indischen Regierung anerkannten Universitäten und Fachhochschulen wird die ayurvedische Medizin systematisch gelehrt, praktiziert und vom Staat gefördert.

In Deutschland und europaweit erlebt die Ayurveda-Medizin zurzeit im Kontext von Naturheilkunde und Komplementärmedizin einen bemerkenswerten Boom, häufig auch in Verbindung mit anderen TIM-Systemen, wie Yoga und Meditationsverfahren. Die Nachfrage nach Ayurveda steigt kontinuierlich, insbesondere bei Patienten mit chronischen und lebensstil- oder stressassoziierten Erkrankungen, die generell häufig Naturheilverfahren in Anspruch nehmen, sowie in der Präventivmedizin – nicht zuletzt auch deshalb, weil TIM-Systeme in ihren therapeutischen Konzepten von präventiven Grundprinzipien durchwirkt sind. Ein Ende dieser Entwicklung ist vorerst nicht abzusehen.

Inhaltlich ist dieser Prozess durchaus mit der ersten großen Welle der Traditionellen Chinesischen Medizin in den 1980er Jahren zu vergleichen, in Form und Dynamik jedoch nur bedingt: In der multimedialen Postmoderne findet die kulturelle Translation von Ayurveda in europäische Kontexte scheinbar deutlich zügiger statt. Im ärztlichen Alltag spiegelt sich dies wider in einer kaum noch zu überblickenden Anzahl medizinischer Ayurveda-Angebote, ayurvedischer Konstitutionstypenbestimmungen nach Vata, Pitta und Kapha, Ayurveda-Kuren sowie einer ansteigenden Medienflut und einer steigenden Patientennachfrage.

Im Zusammenhang mit dem Medizintourismus ist Ayurveda inzwischen von erheblicher Bedeutung. Nicht wenige Ärzte werden damit konfrontiert, dass etwa Patienten von einer Indienreise mit umfangreichen ayurvedischen Therapien berichten. Dies ist insofern problematisch, als Rezeption, Nutzung und Verbreitung von Ayurveda/TIM in Deutschland und Europa bisher fast gänzlich unreguliert stattgefunden haben und nur peripher von Entscheidungsträgern in der medizinischen Versorgung wahrgenommen worden sind.

Wenn in kollegialen Gesprächen Ayurveda zur Sprache kommt, bewegt man sich in einem Spannungsfeld aus Esoterik, Wellness, IGeL-Leistung auf der einen und Prävention, Medizingeschichte, Wissenschaft auf der anderen Seite. Dabei sind meist übertriebene Skepsis oder euphorische Erwartungshaltungen die Regel, selten jedoch medizinischer Realismus. Dass sich hinter Ayurveda auch ein Jahrtausende altes System der Gesundheitspflege und Behandlung von Krankheiten mit Schwerpunkt auf Lebensstilmodifikation verbirgt, entdecken konventionelle Medizin und klinische Wissenschaft nun in den letzten Jahren.

…lesen Sie gern den ganzen Artikel von

Dr. med. Christian S. Keßler,

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen unter dem angegebenen Link!